Die FreidenkerInnen Zürich durften am 21. Juni 2017 zum Abend der Apostasie einladen. Er fand im Cabaret Voltaire, Spiegelgasse 1, 8001 Zürich vor einem angesichts des heissen Sommerwetters und des kleinen Veranstaltungsorts erfreulich zahlreich erschienenen Publikum statt.
Die Veranstaltung widmete sich jenen Menschen, die eine stark religiöse Gemeinschaft verlassen haben, um ihre ethischen Leitplanken an weltlicheren, humanistischen Werten auszurichten, beispielsweise an den Menschenrechten. Die an der Veranstaltung involvierten ApostatInnen verbindet auch die Erkenntnis, dass Menschen – sowohl individuell als auch als Gesamtheit – ihre Probleme selbst lösen müssen, ohne auf göttliche Einmischung zu warten.
Wir haben sehr grossen Wert darauf gelegt, dass die ApostatInnen den Abend inhaltlich weitgehend selbst bestreiten.
Den Auftakt gab der Ex-Christ Raphael Dorigo, der den Blog Scrutator – ungeschminkte Bibelkritik führt. Er schaffte es in seinem rund 40 Minuten dauernden Referat, seinen bisherigen Weg eindrücklich zu beschreiben: angefangen bei der Basis-Indoktrination durch sein familiäres christliches Umfeld, über die selbstgewählte Steigerung seines Mitwirkens in religiösem Engagement, bis hin zu den wachsenden logischen Zweifeln an den damit einher gehenden Lehren und dem Abschied aus dem Glauben. (Video in leider etwas schwacher Tonqualität: Video WHT 2017 Raphael Dorigo). Raphael Dorigo wird voraussichtlich seinen bemerkenswerten Vortrag am Denkfest 2017 (2.-5. November in Zürich) wiederholen.
Nach einer kurzen Pause erörterten im Anschluss unsere Podiumsgäste ihre Erfahrungen mit dem Ausstieg aus der Religion – oder zumindest aus der Idee der Anwesenheit eines göttlichen Wesens. Letzteres gilt besonders für den jüdischen Podiumsteilnehmer „C.“, dessen Namen und Bild wir auf seinen eigenen Wunsch hin nicht kenntlich publizieren. Er lebt einen schwierigen Spagat – einerseits mit jüdisch-orthodoxem Alltag mitsamt Synagogenbesuchen und Sabbat-Regeln, zumindest gegenüber seiner jüdischen Gemeinde – und andererseits seinem weltlichen, eher atheistischen, von Fakten geprägten Innenleben. Dies alles, ohne „zerrissen“ oder zermürbt zu wirken, sondern mit einer lebensbejahenden Ausstrahlung.
Der zweite Teilnehmer im Podium war Kacem El Ghazzali, ein Ex-Muslim und Menschenrechtsaktivist, der vor einigen Jahren aus Marokko in die Schweiz geflüchtet ist (Kacem El Ghazzali in der Wikipedia). Seine Erzählungen legten nahe, dass Religion bei vielen Muslimen ähnlich stark zur gesellschaftlichen Identität gehört wie in jüdischen Gemeinschaften. Seine in Marokko verbliebenen Verwandten seien aufgrund von Kacems Apostasie durchaus etwas unter Druck geraten. Auch er persönlich habe Todesdrohungen erhalten.
Die dritte Teilnehmerin im Podium hiess Carol Hamer. Die Ex-Mormonin und Bloggerin (Blog in Englisch – Userin „chanson“) ist vor mehreren Jahren aus den USA nach Europa und dann in die Schweiz eingewandert. Sie erzählte eindrücklich von der Zeit in ihrer Jugend, in der ihr bewusst wurde, dass sie den in ihrem Umfeld dauernd heraufbeschworenen „Gott“ nicht spürt. Und darüber, dass sie sich über eine lange Zeit hinweg selbst die Schuld dafür gegeben habe. Es habe Zeit gebraucht, sich von diesen Schulgefühlen zu lösen. Sie pflegt nach wie vor Kontakt zu ihren Verwandten in den USA; die grössten Konflikte drehten sich inzwischen eher um Politik.
Die Runde wäre nicht komplett gewesen ohne den Religions- und Sektenexperten Hugo Stamm. Er schien beeindruckt durch die Lebenswege des Referenten und der Podiumsteilnehmenden. In seiner Arbeit hatte er es mehr mit AussteigerInnen aus Sekten zu tun, weniger mit ApostatInnen aus so genannt anerkannten Religionen oder Kirchen. Laut seiner Erfahrung brächen die meisten ApostatInnen den Kontakt zu den Familien ab, weil ein Dialog oder eine Art gemeinsame Basis nicht möglich wäre. Er vermutete, dass in den Familien der im Podium und als Referent anwesenden ApostatInnen schon eine Art liberales Fundament vorhanden gewesen sein müsste.
Die Runde wurde gekonnt moderiert vom erfahrenen Journalisten, Podiumsleiter und Agentur-Mitinhaber Hansjörg Honegger, dem wir – wie allen Teilnehmenden – herzlich fürs Aufbringen der Zeit und Arbeit danken.
Von Veranstalterseite her können wir sagen: Der Abend der Apostasie war ein Erfolg – und möglicherweise erst die erste Veranstaltung von mehreren zu diesem speziellen Thema.
(Text: Gabriela Salvisberg)