In einer humanistischen Gesellschaft hat jede und jeder das Recht, sich nach ihren oder seinen Fähigkeiten frei zu entfalten. Eine humanistische Gesellschaft gibt allen die hierfür notwendigen Werkzeuge in die Hand. Sie bietet Hand, wo Hilfe gebraucht wird. Sie gibt auch Menschen einen Raum, die in dieser oder jener Weise anders sind als die meisten. Wer anders ist als der Mainstream, gehört nicht «schon aus Prinzip» zurechtgeklopft und umgeschult. Wer anders ist, ohne damit jemandem zu schaden, braucht Werkzeuge und Hilfen, mit denen er den von ihm oder ihr gewählten Platz in der Gesellschaft selbstbestimmt finden und gestalten kann. Wer anders ist, will dennoch verstanden und in die Gesellschaft aufgenommen werden. Wir sind nur dann eine menschenwürdige, humanistische Gesellschaft, wenn wir dazu in der Lage sind, Andersartige nicht nur zu tolerieren, sondern zu akzeptieren.
Auch Menschen mit Autismus sind «anders». Viele von ihnen leiden nicht nur an der mit Reizen überfluteten Gesellschaft, sondern auch an unserem Umgang mit ihnen: Da sind zweifelhafte Erziehungs- und Therapiemethoden, mit denen viele von ihnen in ihrer Kindheit und Jugend malträtiert werden. Sie leiden unter Vorurteilen, die unsere Gesellschaft ihnen entgegenbringt. Dies nicht trotz, sondern auch wegen Hollywood (Rainman & Co.). Darum haben die Zürcher FreidenkerInnen ihnen die Veranstaltung zum Welthumanistentag 2016 gewidmet.
Wie aber gibt man Menschen eine Plattform, die genau aufgrund ihrer Andersartigkeit dem Rampenlicht eher ausweichen? Ganz einfach: Man findet zwei Mutige, die sich trotzdem in die Öffentlichkeit stellen.
Marlies Hübner hat ihre Diagnose «Autismus» erst im Erwachsenenalter erhalten. Den Umgang damit und mit einer für sie komplizierten und reizüberfluteten Umwelt hat sie in ihrem ersten Buch verarbeitet, das Anfang März beim Verlag «Schwarzkopf & Schwarzkopf» erschienen ist. Sie hat für uns aus ihrem Werk gelesen. Es heisst «Verstörungstheorien — Die Memoiren einer Autistin, gefunden in der Badewanne».
Die zweite Lesung des Abends hielt Misha Anouk alias Misha Verollet. Auch der bekannte Slam Poet ist Autist sowie Autor. Nach Marlies Hübners Lesung hat er ein paar seiner besten Texte vorgetragen zu Themen wie Autismus, Ausgrenzung, Sexismus und zu seiner Zeit bei den Zeugen Jehovas. Sein eigenes autobiografisches Buch dürfte viele FreidenkerInnen besonders interessieren. Es dreht sich weniger um Autismus, sondern um Misha Anouks Ausbrechen aus der Sekte der Zeugen Jehovas. Es erschien im Herbst 2014 und heisst «Goodbye, Jehova! — Wie ich die bekannteste Sekte der Welt verliess».
Wann: Zürich, Donnerstag, 23. Juni 2016, 20:00 Uhr, Türöffnung 19:30
Wo: Volkshaus, «Blauer Saal», Stauffacherstrasse 60, Zürich